Scheidungsvergleich und Grundbuch

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Im Zuge eines Scheidungsvergleichs werden zwischen Ehegatten im Rahmen der Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse oft auch Liegenschaften oder Liegenschaftsanteile übertragen. Der Scheidungsfolgenvergleich bildet dann die entsprechende Urkunde für die grundbücherliche Durchführung.

 

Da das Grundbuch öffentlich ist und jedermann im Grundbuch Einsicht nehmen kann (§ 7 GBG), bedeutet dies, dass grundsätzlich jedermann sich Kenntnis vom Inhalt des Scheidungsfolgenvergleichs verschaffen kann.

 

Im Scheidungsvergleich werden aber auch private, höchst persönliche Angelegenheiten geregelt wie die Höhe des Einkommens zur Unterhaltsbestimmung, die Höhe des Vermögens, Höhe der Schulden oder Angelegenheiten der Obsorge und des Kontaktrechts.

 

Dies bringt es mit sich, dass bei Vorlage des gesamten Scheidungsvergleichs an das Grundbuchsgericht sich grundsätzlich jedermann Kenntnis von diesen höchst sensiblen Inhalten verschaffen kann.

 

In der Praxis wurde daher in der Vergangenheit versucht, dem Grundbuchsgericht nicht den gesamten Scheidungsvergleich vorzulegen, sondern nur eine Teilausfertigung oder einen Auszug aus dem Scheidungsvergleich; daneben wurden bisweilen von Rechtsvertretern jene Passagen des Scheidungsvergleichs, welche höchst sensible Lebensbereiche betreffen, geschwärzt.

 

Der Oberste Gerichtshof hat allerdings in mehreren Entscheidungen (5 Ob 250/15i – Teilausfertigung; 5 Ob 125/16t – Auszug aus dem Scheidungsfolgenvergleich; 5 Ob 151/19w – geschwärzte Vergleichsausfertigung) die Auffassung vertreten, eine Teilausfertigung, ein Auszug aus dem Scheidungsvergleich oder eine teilweise geschwärzte Vergleichsausfertigung bilde keine ausreichende Eintragungsgrundlage – vielmehr sei der gesamte Scheidungsvergleich dem Grundbuchsgericht vorzulegen.

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat nun allerdings in einer Entscheidung vom 06.04.2021, 5434/17, Liebscher gegen Österreich, die Auffassung vertreten, dass die Veröffentlichung des gesamten Scheidungsvergleichs das verfassungsmäßig gewährleistete Recht des Schutzes des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) verletzt.

 

Ausgehend von jener Entscheidung wird nunmehr von diversen Autoren (vgl. Rassi, EF-Z 2021/70, 161; Rechberger, NZ 2021/188, 692) die Auffassung vertreten, die Bestimmung des § 87 Abs 1 des Grundbuchsgesetzes sei verfassungskonform unter Anwendung analoger einschlägiger Bestimmungen der Zivilprozessordnung und des Außerstreitgesetzes dahingehend zu interpretieren, dass dem Grundbuchsgericht sowohl der gesamte Scheidungsfolgenvergleich als auch ein Auszug daraus (oder eine geschwärzte Fassung hiervon) vorgelegt und beantragt werden kann, dass das Grundbuchsgericht nach entsprechender Überprüfung nur die zweite gekürzte Urkunde als Basis für die Grundbuchseintragung und Aufnahme in die Urkundensammlung verwendet.

 

Die von den besagten Autoren skizzierte Lösungsvariante wird derzeit aber von den Grundbuchsgerichten soweit erkennbar noch nicht umgesetzt; teilweise wird von Familiengerichten in Vorarlberg schon die Übermittlung einer Teilausfertigung des Scheidungsvergleichs verweigert.

 

Bis hier eine Klärung durch den Obersten Gerichtshof oder eine Lösung durch den Gesetzgeber erfolgt, kann diese Problematik vertragstechnisch dahingehend gelöst werden, dass die Ehegatten vor Abschluss des gerichtlichen Scheidungsvergleichs einen Schenkungsvertrag abschließen, welcher unter der aufschiebenden Bedingung der Rechtskraft der Ehescheidung erfolgt und mit welchem die im Scheidungsfolgenvergleich vorgesehenen Liegenschaftsübertragungen umgesetzt werden. Eintragungsgrundlage für das Grundbuchsgesuch bildet dann nicht der Scheidungsfolgenvergleich, sondern der entsprechende Schenkungsvertrag.

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